Helmut Froeyman 19.09.2024
Die Preisgelder in unseren belgischen Sommerturnieren sind seit Jahrzehnten nicht mehr indexiert, so dass (ausländische) Profis heutzutage nur noch selten daran teilnehmen. Vor 11 Jahren war das noch ganz anders, u.a. mit 7 Großmeistern beim Open Gent 2013, siehe meinen Blogartikel: Schweizer Gambit. Das ist schade für unsere jungen Talente, denn Spiele gegen Profis sind eine notwendige Lernkurve, um aufzusteigen. Mit anderen Worten: Wer heute Ambitionen hat, ein IM oder stärker zu werden, sollte ins Ausland gehen, um die richtigen Gegner zu finden.
Als 48-jähriger FM gehöre ich natürlich nicht mehr zu den jungen Wölfen mit himmelhohen Ambitionen, aber bei einem Turnier im Ausland bin ich gerne dabei. In den letzten beiden Sommern war es Dieppe (Frankreich), aber das hat sich letztes Jahr erledigt, weil die Deurn-Schachtouren endgültig eingestellt wurden. Als ich also dieses Jahr von anderen Schachfreunden eingeladen wurde, im August bei der Dortmunder Sparkassen Chess Trophy zu spielen, habe ich gerne zugesagt.
Das Open Dortmund ist ein Top-Turnier in Europa mit einem Preisgeld von 20.000 €. 13 Großmeister haben bei dieser Ausgabe mitgespielt. Mit meinem 2252 fide war ich nur 44. in der Startrangliste. Dennoch sehen wir auch hier, dass die Budgets kleiner werden. Das Preisgeld wurde im Vergleich zum letzten Jahr um 5000 Euro gekürzt. Es gab nur 3 + 2600 Spieler, im Vergleich zu 9 + 2600 Spielern im letzten Jahr. Die neue Spielhalle konnte nur die Hälfte der Spieler/innen aufnehmen, so dass in Schichten gespielt werden musste. Die B-Gruppe (-2000) spielte am Vormittag, die A-Gruppe (+1900) am Nachmittag. Das ist äußerst unpraktisch, wenn man mit Freunden zu einem Schachturnier geht, die nicht alle die gleiche Spielstärke haben. Letztendlich war das auch der Hauptgrund, warum meine Tochter aus diesem Turnier ausgestiegen ist.
Dortmund (etwa 600.000 Einwohner) ist eine 3-stündige Autofahrt von Antwerpen entfernt (etwa 100 km von der belgischen Grenze). Die Turnierorganisation bot das Intercityhotel als relativ günstige Unterkunft an (Einzelzimmer mit Klimaanlage und gutem Frühstück für 87 Euro/Nacht). Das Parken war kostenlos oder zumindest mussten wir nicht dafür bezahlen. Außerdem war im Hotelpreis auch ein Ticket für die unbegrenzte Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel in Dortmund enthalten. Dortmund setzt eindeutig auf Grün, wie immer mehr deutsche Städte. Letzteres war sehr interessant, weil ich jeden Tag die Straßenbahn nahm, um vom Hotel zum Turnierort und zurück zu pendeln. Es fuhr alle 10 Minuten eine und die Fahrt dauerte etwa 15 Minuten.
Ich hatte keine Zeit für Sightseeing, was ich sehr bedauerte. Zum Beispiel hätte ich während des Turniers für 18 € ein Freundschaftsspiel der Dortmunder Fußballmannschaft besuchen können. Dortmund ist Fußball und die Stadt füllt sich komplett mit bunten Fans, wenn die Stadtmannschaft spielt. Als solche haben sie eine sehr starke Mannschaft(ja schmerzhaft gestern für Club Brugge das 0 -3). Dortmund hat sogar sein eigenes Fußballmuseum. Das Technikmuseum mit vielen Erlebnis- und Entdeckungsräumen ist auf jeden Fall einen Besuch wert. In der Innenstadt gibt es viele malerische Plätze, auf denen es nette Restaurants und Bars gibt. Während des Turniers gab es ein sehr gut besuchtes Street Food& Beach Festival mit Musikaufführungen. Wir hatten keine Verpflegung, aber das Essen und Trinken war auch spät in der Nacht kein Problem. Trip Advisor hat uns nie im Stich gelassen und uns leckeres und günstiges Essen in einem thailändischen, italienischen, spanischen, vietnamesischen, … Restaurant servieren lassen. Am letzten Abend wählten wir eine Dortmunder Fußballerkneipe, die traditionelle lokale Küche serviert.
Trotzdem bezweifle ich sehr, dass wir in Zukunft zurückkehren werden. Es gab schon vorher einige gravierende Nachteile. Zum Beispiel gab es keine Klimaanlage im Turniersaal und wir mussten bei Temperaturen um die +35 Grad während der Hitzewelle spielen. Ich vermute, dass das Geld ausging, weil viele Profispieler (darunter auch einige Damen) kostenlos untergebracht wurden, aber das ist keine Entschuldigung. Noch mehr beunruhigt mich jedoch, dass das Zentrum in Dortmund von Drogenkonsumenten und Alkoholikern überlaufen ist. Wir haben Leute auf der Straße gesehen, die nur Lines geschnupft haben. Überall lag Glas von zerbrochenen Flaschen. Man konnte nicht auf einer Terrasse sitzen oder man wurde bedrängt, Geld zu geben. Deutschland steht vor einem riesigen sozialen Problem, siehe auch 13.844 gemeldete Messerstechereien in einem Jahr, denn es ist sicher nicht nur Dortmund. Letztes Jahr habe ich das Gleiche in Berlin und Hamburg erlebt.
Das Turnier war stark und ich habe nicht schlecht gespielt, aber auch nicht gut genug, um den Wechsel zwischen stärkeren und schwächeren Gegnern zu durchbrechen. Mein Ergebnis zwischen den Runden 2 bis 8 war daher 1-0-1-0-1-0-1. Ich hatte das “Pech, gegen die stärkeren jedes Mal Schwarz zu haben und dann wird die DWZ auch für meine schwächeren Gegner verwendet. Die DWZ ist die deutsche Wertungszahl und sie ist normalerweise deutlich höher als die fide. Ich halte es für Unsinn, DWZ und Fide in den Paarungen zu vermischen (einige belgische Organisatoren wagen den gleichen Fehler).
Ich schließe mit meiner vielleicht spektakulärsten Partie des Turniers. Es ist eine Partie, die ich in der dritten Runde gegen einen jungen deutschen FM von 2400 Elo verloren habe: Moritz Weishaeutel. Sie zeigt, wie moderne neuronale Netze schon auf diesem bescheidenen Niveau Eröffnungsanalysen mit wahnsinniger Tiefe und Gefahr machen. Moritz’ Finishing ist spektakulär und zeigt ein scharfes taktisches Verständnis.
Helmut Froeyman